Alice Rühle-Gerstel

Geboren:
24.03.1894
Gestorben:
24.06.1943

Alice Rühle-Gerstel wurde 1894 in eine deutsch-jüdische großbürgerliche Familie in Prag geboren, sie besuchte das deutschsprachige Lyzeum und später das Töchterpensionat in Dresden. 1912 legte sie die Staatsprüfung für Musik am deutschen Lehrerinnen-Seminar ab. Über ihre Schulfreundin Milena Jesenská gelangte sie bereits früh in den literarischen Prager Zirkel um Egon Erwin Kisch, Willy Haas und Franz Werfel. In den ersten beiden Kriegsjahren arbeitete sie als Krankenschwester in Kriegslazaretten.

Nach dem Krieg holte sie ihr Abitur nach und studierte Germanistik und Philosophie in Prag und in München. Mit 27 Jahren schloss sie ihre Doktorarbeit über Friedrich Schlegel ab und hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon ausführlich mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Individualpsychologie Alfred Adlers auseinandergesetzt. Gemeinsam mit ihrem 20 Jahre älteren Ehemann, Otto Rühle, einem bekannten Pädagogen und rätekommunistischen Politiker, entwickelte sie eine Zusammenfügung der Theorien des Marxismus und der Individualpsychologie hin zu einer sozialistischen Erziehungstheorie.

Rühle-Gerstel veröffentlichte Beiträge zur Individualpsychologie sowie zu Fragen der gesellschaftlichen Stellung der Frauen. Darüber hinaus hielt sie Vorträge an der Arbeiter-Universität Dresden-Hellerau. Der von beiden in Dresden gegründete Verlag „Am andern Ufer“ stellte die publizistische Plattform für die Zeitschriften „Das proletarische Kind“, „Blätter für sozialistische Erziehung“ und Rühle-Gerstels Schriften und Bücher wie bspw. „Freud und Adler“ (1924) dar.

Siebzehn Jahre vor Erscheinen des Buches „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir hatte Alice Rühle-Gerstel 1932 „Das Frauenproblem der Gegenwart: eine psychologische Bilanz“, eine heute gänzlich unbekannte, aber wichtige Analyse zur Situation der Frau in der Gesellschaft veröffentlicht. Unter dem Titel „Die Frau und der Kapitalismus“ wurde die Schrift 1972 im Frankfurter Verlag „Neue Kritik“ neu aufgelegt. 1932 zog das Paar wegen des erstarkenden Nationalsozialismus in Deutschland nach Prag und emigrierte drei Jahre später weiter nach Mexiko. Dort arbeitete Alice Rühle-Gerstel als Übersetzerin in einem Regierungsbüro. Als Otto Rühle 1943 starb, folgte sie ihm in den Tod und sprang aus dem Fenster des Krankenhauses.

Text: Katrin Huhn

Quellen: Wall, Renate: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933 bis 1945, Bd. 2, Freiburg i. Br. 1995; aerzteblatt.de

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