Wer den Text für das Plakat „Wider den undeutschen Geist!“ letztlich verfasst hat, ist bislang nicht geklärt. Ein früherer Entwurf, „12 Thesen wider den undeutschen Geist“, war den Einzelstudentenschaften am 9. April zugegangen. Alfred Baeumler (1887-1968), Philosoph und Pädagoge, der in diesen Wochen vom preußischen Kultusminister Bernhard Rust mit einem Lehrstuhl am neu eingerichteten Institut für politische Pädagogik an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt Universität, versehen worden war, unterstützte die Kampagne und machte einige Änderungsvorschläge, die den Inhalt des Plakats weiter zuspitzten. Als Baeumler am 10. Mai seine Berliner Antrittsvorlesung hielt, war der Zeitpunkt kein Zufall. Er fiel zusammen mit dem „Höhepunkt“ der Kampagne, der öffentlichen Verbrennung der gesammelten Bücher am selben Tag. Der Titel seiner Antrittsvorlesung lautete „Wider den undeutschen Geist“. In ihr stellte er die bevorstehende Bücherverbrennung in eine Reihe mit dem ›Tag von Potsdam‹ (21. März 1933) und dem ›Tag der nationalen Arbeit‹ am 1. Mai 1933. Als Baeumler seine Vorlesung beendet hatte, zog er gemeinsam mit den Studenten vor das Universitätsgebäude, um sich an der unmittelbar danach stattfindenden Verbrennungsaktion zu beteiligen.
Der Text des Plakats legt in seinen ersten fünf Punkten in gedrängter Kürze eine nationalistische Vorstellung von Sprache und Kultur dar, die voraussetzt, dass Juden keine Deutschen sein könnten. Sie wird verknüpft mit einer Gegenwartsdiagnose.
„1. Sprache und Schrifttum wurzeln im Volke. Das deutsche Volk trägt die Verantwortung dafür, daß seine Sprache und sein Schrifttum reiner und unverfälschter Ausdruck seines Volkstums sind.
2. Es klafft heute ein Widerspruch zwischen Schrifttum und deutschem Volkstum. Dieser Zustand ist eine Schmach.
3. Reinheit von Sprache und Schrifttum liegt an Dir! Dein Volk hat Dir die Sprache zur treuen Bewahrung übergeben.
4. Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude, und der, der ihm hörig ist.
5. Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter! Der Student, der undeutsch spricht und schreibt, ist außerdem gedankenlos und wird seiner Aufgabe untreu.“
Die ersten fünf Punkte des Plakats „Wider den undeutschen Geist!“ der ›Deutschen Studentenschaft‹
Nach dieser Vorstellung sollen Sprache und Schrifttum, literarische und wissenschaftliche Bücher, Zeitschriften und Zeitungen, kurz: sprachliche kulturelle Überlieferungen im weitesten Sinn, „reiner und unverfälschter Ausdruck“ eines jeden Volkes sein, so auch für das deutsche Volk, das die Verantwortung dafür trage, diesen ›reinen Ausdruck‹ zu bewahren. Gegenwärtig aber klaffe ein „Widerspruch zwischen Schrifttum und deutschem Volkstum“, und der Hauptschuldige dieses Widerspruchs sei „der Jude“, der lüge, wenn er deutsch rede und schreibe und daher nur einen verfälschten Ausdruck wiedergebe. Die Sätze werfen eine Reihe von Fragen auf. Wie kann jemand allein auf Grund der Tatsache lügen, dass er sich einer bestimmten Sprache bedient? Was denkt „der Jude“ eigentlich, wenn er zugleich deutsch spricht? Worin besteht dieses „deutsche Volkstum“, dessen ›reiner Ausdruck‹, so das Plakat, Sprache und Schrifttum idealerweise sein sollten? Und schließlich: woher kommt überhaupt die Auffassung, der Jude könne nur „jüdisch denken“, „schreibt er deutsch, dann lügt er“, wie es die Verfasser formulierten?
Der Text des Plakats beinhaltet neben der antisemitischen Vorstellung vom ›Juden, der lügt, wenn er deutsch spricht und schreibt‹ eine bereits im Titel („Wider den undeutschen Geist!“) angekündigte Kehrseite: die Forderung eines ›deutsch‹ denkenden ›Studenten‹, eines ›deutschen Geistes‹. Denn was für den „Juden“ in Anspruch genommen wird – dass er deutsch schreiben und sprechen, aber zugleich ›undeutsch‹ denken könne –, das gelte auch für den „Deutschen“ und den „deutschen Studenten“ (Punkt 5). Wenn deutsches Denken und deutscher Geist aber „reiner“, „unverfälschter“ Ausdruck des Volkstums sein und in ihm wurzeln sollen, so werden daraus auch politische Forderungen abgeleitet, die mit der Vorstellung vom ›lügenden Juden‹ auf dem Plakat dezidiert begründet werden. Sie stehen in der Kontinuität einer von Theodor Fritsch oder Adolf Bartels behaupteten „geistigen Unterjochung“, etwa wenn in den Punkten 8 bis 10 die Studenten zur „Reinhaltung der deutschen Sprache“ aufgefordert werden, zur „Ueberwindung des jüdischen Intellektualismus und der damit verbundenen liberalen Verfallserscheinungen im deutschen Geistesleben.“
Die Punkte 6 bis 12 des Plakats „Wider den undeutschen Geist!“ der ›Deutschen Studentenschaft‹ enthalten Absichtserklärungen und politische Forderungen der Nazi-Studenten.
Der Absichtserklärung, diese ›Lüge auszumerzen‹, den „Verrat“ (des ›undeutsch‹ denkenden Deutschen) zu „brandmarken“ (Punkt 6), folgt die Forderung, die Hochschulpolitik solle dem Rechnung tragen: „Wir wollen für den Studenten nicht Stätten der Gedankenlosigkeit“, d.h. des ›undeutschen Denkens‹, „sondern der Zucht und der politischen Erziehung“. (Punkt 7) Die einzige größere Änderung, die Alfred Baeumler vorgeschlagen hatte, tritt unverhohlen für eine Zensur ein, auch sie begründet mit der antisemitischen Vorstellung vom ›lügenden Juden‹. „Jüdische Werke erscheinen in hebräischer Sprache. Erscheinen sie in Deutsch, sind sie als Uebersetzungen zu kennzeichnen.“ Weitere hochschulpolitische Forderungen gegenüber den Kultusministerien enthalten die letzten beiden Punkte 11 und 12. Ein ›Arierparagraph‹ sollte nun auch für Studenten eingeführt werden, nachdem er für die Mitgliedschaft in der Deutschen Studentenschaft schon gesetzlich verankert war und im Gesetz über die „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April auch für die Professoren eine juristische Grundlage hatte: Gefordert wird die „Auslese von Studenten und Professoren nach der Sicherheit des Denkens im deutschen Geiste“ und die inhaltliche Ausrichtung und Umgestaltung der Hochschule „als Hort des deutschen Volkstums und als Kampfstätte aus der Kraft des deutschen Geistes“. Diese letzte Formulierung machte zugleich deutlich, dass neben allen Menschen jüdischer Herkunft auch andere, etwa politische Gegner und Andersdenkende, von Zensur und Ausschluss oder Berufsverbot betroffen sein konnten, sofern ihnen nur zur Last gelegt werden konnte, nicht „im deutschen Geiste“ zu denken.
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