Kurt Tucholsky, Lerne lachen ohne zu weinen, 1931

Quellenbeschreibung

Mit seinen kritischen und von wachem Geist nur so strotzenden Texten, Glossen, Essays, Artikeln und Kulturkritiken, die bis heute ihre Aktualität nicht verloren haben, gehörte Kurt Tucholsky zu den hellsichtigsten und zugleich bissig-unterhaltsamsten Chronisten seiner Zeit. Aus diesem Grund geriet er schnell in das Visier der Nationalsozialisten. Sein Name wurde explizit auf der ersten Ausbürgerungsliste vom 23. August 1933 aufgeführt, als offizieller Grund wurde Tucholskys Pazifismus genannt. Hinzu kam, dass er sich früh und wiederholt gegen den verschärften Antisemitismus, der sich während der Weimarer Zeit immer mehr etablierte, zur Wehr setzte, wenn er beispielsweise in seinem unnachahmlich überspitzten Ton schrieb: „Ein gewisser Mittelstand in Deutschland [hat] heute die liebe Gewohnheit […], für die Sonnenfinsternis, die Republik, den Durchfall von kleinen Kindern und den schlechten Stand der Mark die Juden verantwortlich zu machen.“ („Kadett Ludendorff“, 1922).

In Tucholskys Textsammelsurium „Lerne lachen ohne zu weinen“, das vom Berliner Ernst Rowohlt Verlag 1931 herausgegeben und bereits im folgenden Jahr nachgedruckt wurde, sind über 100 in verschiedenen Publikationsorganen wie der „Weltbühne“ oder dem „Vorwärts“ veröffentlichte Beiträge aus den Jahren 1927 bis 1931 zusammengetragen. Das Buch umfasst Artikel, Rezensionen, Gedichte, kurze Prosatexte und Beobachtungen, die Tucholsky sowohl unter seinem Namen als auch unter seinen Pseudonymen verfasste. Im Vordergrund stehen die Texte, die er als Auslandskorrespondent in Frankreich verfasste. In sieben Kapiteln werden die verschiedensten Themen wie beispielsweise der von Tucholsky verhasste Militarismus und Nationalismus behandelt, auch begeisterte oder höchst kritische Buchrezensionen sowie Gedichte sind hier versammelt. Während seiner Reisen durch Frankreich zieht er Vergleiche zu Deutschland, wenn er beispielsweise in einer Apotheke steht und sich über die deutschen Burschenschaften lustig macht: „Da kommt dann ein weißer Provisor [Apotheker, Verf.] -Engel angeschwebt, die jüngern Herren haben, wenn es in deutschen Apotheken ist, Schmisse und sehen grimmig-gefurcht drein, so: ‚Du! Wir sind hier akademisch gebildet, und daß wir dir etwas verkaufen, ist eine große Gnade!‘ Da wird vor Angst sogar die Tonerde doppelt sauer.“ (S. 38f.)

Mit Blick für die kleinen Leute und die Arbeiterschaft lässt Tucholsky die Leserschaft an den unüberwindbaren und unsinnigen Hürden der Bürokratie teilhaben, wenn es beispielsweise um die Beschaffung von Ausreisepapieren geht. Er schreibt in seinem Artikel „Wahnsinn Europa“ von 1928: „Was ist es mit den Fremden in Europa? Sie sind rechtlos. Wäre es noch die verständliche Eifersucht der einheimischen Arbeiter, die für ihren Arbeitsmarkt fürchten und so mithelfen, die Freizügigkeit aufzuheben – wäre es nur das! Aber es ist der Wahnsinn einer übergeschnappten Bürokratie, die, um sich zu erhalten, längst Selbstzweck geworden ist, ohne Sinn, ohne Ziel, unfähig, auch nur ihre eignen Leute vor den Hochstaplern zu schützen, die sämtliche Pässe der Welt in Ordnung haben; unfähig, aber schikanierend; mit der Zeit und dem Geld der Steuerzahler, die den Apparat erhalten müssen, umgehend wie die Tyrannen, die sie sind.“ (S. 52).

Auch die unzumutbaren Zustände in den Gefängnissen prangert er in einem seiner Artikel scharf an, wenn er schreibt: „Eintönige und schlecht entlohnte Arbeit; zu viel Zeit des stumpfen Dösens; die wahnwitzige Bestimmung, daß der ‚Einschluß‘ mit ‚Licht aus!‘ um acht Uhr abends erfolgt, so daß also die Leute mit geringen Ausnahmen während neun Monaten im Jahr täglich volle zehn bis elf Stunden im Dunkeln zubringen müssen. Man stelle sich das vor, wenn man kann – und male sich das weitere aus. Dazu die Unfreiheit auf allen Gebieten, auch da, wo sie gar nicht nötig ist.“ (S. 95). In seinen Buchrezensionen kritisiert Tucholsky Autoren wie beispielsweise Arnolt Bronnen, indem er eingangs überlegt: „Ich spiele dieses Spiel nicht mit, das darin besteht, jedem Schriftsteller der Gegenseite die Begabung abzusprechen. Unsereiner ist ja für die Rechten ein analphabetischer Botokude [unzivilisierter Mensch]; wir aber wissen, wie groß Gottes Tiergarten ist – warum sollte es nicht einen guten, einen achtbaren, einen prägnant schreibenden nationalen Schriftsteller geben? Jedoch hat jede heroische Bewegung ihre Affen; der Fascismus hat einen neuen Typus in Europa gezüchtet: den fascistischen Kellner. Bitte sehr, bitte gleich … es ist eine Tragik dieser Gruppen, daß dort offenbar unsre alten Hosen aufgetragen werden; da gibt es falsche Hamsuns und nachgemachte Kerrs und Epigonen von Epigonen … Die Herren irren. Fascisten - ? Ein dreckiges Hemd ist noch kein Schwarzhemd.“ (S. 58f.).

Auch äußert er sich in kämpferischem und kritischem Ton wenige Tage nach Walther Rathenaus Ermordung durch Mitglieder der antisemitischen und paramilitärischen Organisation Consul 1922 in seinem Artikel „Das Opfer einer Republik“: „Was seit dem 9. November 1918, nach dem Kapp-Putsch, nach der Ermordung Erzbergers versäumt worden ist: jetzt und heute muß es Wirklichkeit werden. Hinaus mit den paar tausend Beamten aus der Republik, die gegen uns arbeiten! Hinaus mit den unzuverlässigen Generälen! Her mit der Auflösung der nationalen Verbände! Herunter von den Straßen mit allen Monarchisten und schwarzweißroten Tüchern! Walther Rathenau soll nicht umsonst gefallen sein. Wenn ihr wollt, dann habt ihr an seiner Bahre endlich die Republik!“ (S. 71). Tucholskys Verzweiflung über die Passivität der deutschen Bevölkerung angesichts der immer bedrohlicher werdenden Situation zeigt sich auch in dem folgenden Ausschnitt: „[…] Widerstand? Nein, den finden Sie wohl kaum. Von wem denn auch? Von dem bißchen Republik? Die hat in zwölf Jahren nicht verstanden, echte Begeisterung zu wecken, Menschen zur Tat zu erziehen, nicht einmal in ruhigen Lagen, wie denn, wenn es Kopf und Kragen zu riskieren gilt? Widerstand? Lieber Herr, das Land ist so weit entfernt von jeder Revolution. Dies ist ein Volk, das noch nicht einmal liberal ist.“ (S. 77) und besonders in diesem Abschnitt aus dem Artikel „Die Herren Belohner“, in dem es um ein Lehrbuch geht: „Jahraus, jahrein wird aufnahmefähigen Kindergehirnen ein Lehrstoff eingetrommelt, den sie wahrscheinlich nie wieder vergessen werden und den auszuradieren nur Wenige Gelegenheit und Kraft haben. In diesem Alter prägt sich Gesagtes rasch und kräftig ein; um wie viel mehr erst, wenn es durch die Autorität der Schule gestützt und entsprechend feierlich ex cathedra [kraft höherer Entscheidungsgewalt, Verf.] vorgetragen wird. Jenes Buch steht in der sechsten Auflage. Wann also, so dürfte unsre Rechenaufgabe lauten, haben wir den nächsten Krieg - ?“ (S. 111).

Die Kriegslust und -begeisterung der Deutschen treibt Tucholsky um, er bringt es in seinem Artikel „Die brennende Lampe“ folgendermaßen auf den Punkt: „Wenn ein jüngerer Mann, etwa von dreiundzwanzig Jahren, an einer verlassenen Straßenecke am Boden liegt, stöhnend, weil er mit einem tödlichen Gas ringt, das eine Fliegerbombe in der Stadt verbreitet hat, er keucht, die Augen sind aus ihren Höhlen getreten […] dann wird dieser junge Mensch mit einem verzweifelten Blick […] fragen: ‚Warum?‘ […] Weil, junger Mann, deine Eltern und deine Großeltern auch nicht den leisesten Versuch gemacht haben, aus diesem Kriegsdreck und aus dem Nationalwahn herauszukommen.“ (S. 127). In diesem Sammelsurium befinden sich auch die bekannten „Ratschläge für einen schlechten Redner“ und Geschichten des berühmten Herrn Wendriner neben Gedichten und Artikeln in Berliner Mundart wie beispielsweise „Mutterns Hände“ (S. 361). Kurt Tucholsky wagt einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft: „… Und wenn alles vorüber ist - ; wenn sich das alles totgelaufen hat: der Hordenwahnsinn, die Wonne, in Massen aufzutreten, in Massen zu brüllen und in Gruppen Fahnen zu schwenken, wenn diese Zeitkrankheit vergangen ist, die die niedrigen Eigenschaften des Menschen zu guten umlügt; wenn die Leute zwar nicht klüger, aber müde geworden sind; wenn alle Kämpfe um den Fascismus ausgekämpft sind und wenn die letzten freiheitlichen Emigranten dahingeschieden sind - ; dann wird es eines Tages wieder sehr modern werden, liberal zu sein.“ (S. 244).

Zeit seines Lebens kritisierte Kurt Tucholsky unverhohlen die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Deutschland am Vorabend der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Mit seiner schriftstellerischen Umtriebigkeit füllte er unzählige Zeitungen und Zeitschriften, ganz in seinem Sinne: „Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf!“.

Text: Katrin Huhn

Achtung! Rassistischer Begriff auf S. 329

Empfohlene Zitation

Kurt Tucholsky, Lerne lachen ohne zu weinen, Berlin 1931, veröffentlicht in: Digitale Bibliothek verbrannter Bücher, <https://www.verbrannte-buecher.de/bibliothek/source-18> [21.11.2024].