Jakob Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude, 1921

Quellenbeschreibung

Die alarmierende Bekenntnis- und Anklageschrift „Mein Weg als Deutscher und Jude“ des bekannten und sehr erfolgreichen jüdischen Schriftstellers Jakob Wassermann war eines der ersten Bücher, das auf der ersten Schwarzen Liste verzeichnet war. An einen guten Freund schrieb er 1920 noch hoffnungsvoll kurz vor der Veröffentlichung folgende Zeilen: „[…] es war eine wichtige Sache, die mir wie Eisenlast monatelang auf der Brust lag, bis ichs endlich herunterschrieb. Sie werden es ja bald lesen. Wenn es nur hundert Köpfe in Deutschland zur Besinnung bringt, hat es schon seine Schuldigkeit getan.“

Wassermanns autobiografische Schrift „Mein Weg als Deutscher und Jude“ erschien 1921 im Berliner S. Fischer Verlag. In seinen Überlegungen und Reflexionen geht er den Fragen nach, was es heißt, als Deutscher jüdisch und als Jude deutsch zu sein mit all den Auseinandersetzungen, Hindernissen, Diskussionen und Anfeindungen. In einem bewundernswert neutralen Ton berichtet Wassermann von diesen alarmierenden Zeiten, er möchte nun „[…] Rechenschaft ablegen über den problematischsten Teil meines Lebens, den, der mein Judentum und meine Existenz als Jude betrifft, nicht als Jude schlechthin, sondern als deutscher Jude, zwei Begriffe, die auch den Unbefangenen Ausblick auf Fülle von Mißverständnissen, Tragik, Widersprüchen, Hader und Leiden eröffnen. Heikel war das Thema stets, ob es nun mit Scham, mit Freiheit oder Herausforderung behandelt wurde, schönfärbend von der einen, gehässig von der anderen Seite. Heute ist es ein Brandherd.“ (S. 7). Wassermann erzählt aus seinem Leben und dem seiner Familie, beschreibt die Entwicklung und das Leben der jüdischen Gemeinden, aber auch die Beschwerlichkeiten und andauernden Hürden, mit denen sie konfrontiert waren: „Drückende Beschränkungen, wie das Matrikelgesetz, das Verbot der Freizügigkeit und der freien Berufswahl waren noch bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Kraft.“ (S. 9). Nach den gesetzlichen Verbesserungen der Einschränkungen für die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden und deren sukzessive Gleichstellung in der Gesellschaft stellt Wassermann fest: „In Kleidung, Sprache und Lebensform war die Anpassung durchaus vollzogen. Die Schule, die ich besuchte, war staatlich und öffentlich. Man wohnte unter Christen, und für die fortgeschrittenen Juden, zu denen mein Vater sich zählte, gab es eine jüdische Gemeinde nur im Sinn des Kultus und der Tradition; […]“ (S. 10). Der Wandel und die Entfremdung vom Judentum als religiöse Glaubensausübung sowie die gleichzeitige Unmöglichkeit von der deutschen Mehrheitsgesellschaft als gleichberechtigt wahrgenommen zu werden, beschäftigte den jungen Wassermann in seinen Überlegungen zunehmend. Rückblickend schreibt er: „Gewisse äußerliche Vorschriften wurden eingehalten, mehr aus Rücksicht auf Ruf und Verwandte, aus Furcht und Gewöhnung, als aus Trieb und Zugehörigkeit. Fest- und Fasttage galten als heilig. Der Sabbat hatte noch einen Rest seines urtümlichen Gehalts, die Gesetze für die Küche wurden noch geachtet.“ (S. 15). Aber: „Genau betrachtet war man Jude nur dem Namen nach und durch die Feindseligkeit, Fremdheit oder Ablehnung der christlichen Umwelt, die sich ihrerseits hierzu auch nur auf ein Wort, auf Phrase, auf falschen Tatbestand stützte. Wozu war man also noch Jude, und was war der Sinn davon? Diese Frage wurde immer unabweisbarer für mich, und niemand konnte sie beantworten.“ (ebd.). Während des Ersten Weltkrieges spürte Wassermann nachhaltig und sehr nah den gefährlichen und verachtenden Antisemitismus seitens der Soldaten, wenn er berichtet: „Auffallender, weitaus quälender war mir in dieser Beziehung das Verhalten der Mannschaften. Zum erstenmal begegnete ich jenem in den Volkskörper gedrungenen, dumpfen, starren, fast sprachlosen Haß, von dem der Name Antisemitismus fast nichts aussagt, weil es weder die Art, noch die Quelle, noch die Tiefe, noch das Ziel zu erkennen gibt. […] Jeder redliche und sich achtende Jude muß, wenn ihn zuerst dieser Gifthauch anweht und er sich über dessen Beschaffenheit klar zu werden versucht, in nachhaltige Bestürzung geraten. Und so erging es auch mir.“ (S. 39). Wassermann führt Gespräche, diskutiert mit Bekannten und stellt seine Überlegungen darüber an, wie beispielsweise Heinrich Heine mit seiner jüdischen Identität umging. Er beschreibt die Einflüsse auf sein literarisches Schaffen sowie die Entstehung seiner Romane. Anhand von Anekdoten und beeindruckenden Beobachtungen erhalten die Lesenden einen nachhallenden Einblick in das Gefühl des Autors vom Hin- und Hergerissensein zwischen den Kulturen. Als Wassermann in Wien sesshaft wird, beobachtet er die Bewegung des Zionismus und stellt für sich kritisch fest, dass er „[…] nicht die Solidarität [spürte, K.H.], auf die sie mich verpflichten wollten, nur weil ich Jude war. Die religiöse Bindung fehlte, aber auch die nationale Bindung fehlte, und so, in meinem noch nicht zur Klarheit gediehenen Widerstreben, vermochte ich im Zionismus vorläufig nichts anderes zu sehen als ein wirtschaftlich-philanthropisches Unternehmen. Es widerstrebte mir das, was sie die jüdische Nation nannten, rundweg gesagt, denn mir war, als könne eine Nation nicht von Menschen gewollt und gemacht werden; was in der jüdischen Diaspora als Idee davon lebte, schien mir besser, höher, fruchtbarer als jegliche Realität; was war gewonnen, so schien es mir, wenn im Jahrhundert des Nationalitätenwahnsinns die zwei Dutzend kleinen, in Hader verstrickten, aufeinander eifersüchtigen, einander zerfleischenden Nationen durch die jüdische zwei Dutzend und eine geworden wären?“ (S. 106f.). Neben dieser persönlichen Auseinandersetzung schließt Wassermann mit einer radikalen Anklage an die Deutschen, indem er schreibt: „[…] Sie wollen einen Sündenbock. Immer, wenn es ihnen schlecht ergangen, nach jeder Lage, in jeder Klemme, in jeder heiklen Situation machen sie die Juden für ihre Verlegenheit verantwortlich. So ist es seit Jahrhunderten. Drohende Erbitterung der Massen wurde stets in diesen bequemen Kanal geleitet, und schon die Kurfürsten und Erzbischöfe am Rhein hatten, wenn ihre Waffengänge mißlungen und ihre Schatzkammern geleert waren, eine sicher funktionierende Regie in der Veranstaltung von Judenmetzeleien.“ (S. 119). Jedoch bleiben seine letzten Zeilen hoffnungsfroh, in denen er darüber nachdenkt, was er als Autor gegen den Antisemitismus tun kann: „In dem Bereich, in dem ich wirke, hängt alles davon ab, ob man die Menschen eröffnen, ergreifen und erhöhen kann. […] Daher glaube ich, daß im Abstand von den niedrigen Dingen das Geschwätz und der Geifer des Hasses und Unrechts ohnmächtig werden und die Missetaten sogar, die sie begehen, ihre Sühne finden.“ (S. 126).

Jakob Wassermanns Schrift erschien Ende 2024 ausführlich kommentiert und neu ediert im Wallstein Verlag.

Text: Katrin Huhn

Achtung! rassistischer Begriff: S. 50

Empfohlene Zitation

Jakob Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude, Berlin 1921, veröffentlicht in: Digitale Bibliothek verbrannter Bücher, <https://www.verbrannte-buecher.de/bibliothek/source-9> [21.11.2024].