Das Berliner Institut für Sexualwissenschaft, das der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld (1868-1935) 1919 gegründet hatte, wurde am 6. Mai gleich zweimal geplündert. Hirschfelds Arbeiten waren den Nazis verhasst, denn er setzte sich kritisch mit der polarisierenden Geschlechterordnung zwischen Mann und Frau auseinander, die in der faschistischen Ideologie auf die Spitze getrieben wird: Jungen wurden nach dem Vorbild des Frontsoldaten erzogen – Mädchen zu empathischen Müttern und Hüterinnen des Hauses. Für Hirschfeld waren Männer und Frauen kontinuierliche Mischungen ›männlicher‹ und ›weiblicher‹ Eigenschaften. Bereits 1897 hatte er das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee gegründet, das sich offen gegen die Kriminalisierung der Homosexualität von Männern einsetzte.
Seit seinen ersten Veröffentlichungen Ende des 19. Jahrhunderts war Hirschfeld mehrfach einer Kritik von rechts ausgesetzt. In seinem Institut befand sich eine umfangreiche sexualwissenschaftliche Bibliothek sowie ein Archiv. Beides wurde zum ersten Mal am Morgen des 6. Mai 1933 Ziel eines „Stoßtrupps“ des Kreises X (Berlin/Brandenburg) der Deutschen Studentenschaft. Etwa einhundert Turnstudenten der Hochschule für Leibesübungen marschierten zusammen mit einer Blaskapelle und SA-Studenten auf das Institut in der Beethovenstraße 3 zu, stellten sich vor dem Institut auf und brachen in das Gebäude ein. Das Institut wurde verwüstet, die Einrichtung zerstört. Ein Augenzeuge berichtete, wie die Studenten Tintenfässer auf den Teppich und über den Akten ausleerten, die sie aus den Regalen rissen. Sie spielten Fußball mit Bildern und Fotografien, die sie von den Wänden rissen, zusammen mit einigen großen Wandtafeln mit Darstellungen intersexueller Fälle, die sich im Archiv befanden. Die Studenten warfen die Tafeln auf die Straße.
Der Führer des Kreises X der Deutschen Studentenschaft, Herbert Gutjahr (1911-1944), leitete die Aktion und hielt, nachdem ein großer Lastwagen der Möbeltransportfirma „Pagel“ mit dem Material beladen worden war, eine kurze Rede, in der er das Institut für geschlossen erklärte und, wie die Berliner Volks-Zeitung in einem Artikel („Bei Magnus Hirschfeld wird ausgeräumt“) berichtete, verlauten ließ: „… die Deutsche Studentenschaft werde nicht mehr zulassen, daß von hier aus das deutsche Volk in angeblich wissenschaftlichen Vorträgen und durch angeblich wissenschaftliche Bücher verseucht werde.“ Darauf sangen die Turnstudenten zwei Lieder, „Deutsche Frauen, deutsche Mädchen nehmen wir in unseren Schutz“ und „Burschen heraus“. Am Nachmittag gegen 15.00 Uhr wurde das Institut dann ein zweites Mal von Studenten, diesmal der Tierärztlichen Hochschule, aufgesucht. Im Keller, so ein Bericht der Studentenschaft der Hochschule, habe man dort noch 15 Zentner Material gefunden und zum Studentenhaus in der Oranienburger Straße gebracht.
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