Mit der Erstellung „Schwarzer Listen“ war so etwas wie ein Index an Büchern und Autoren geschrieben und, allerdings recht spät, verbreitet worden. Hatte die Deutsche Studentenschaft bei der NSDAP-Parteileitung, beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und beim preußischen Kultusminister Bernhard Rust noch untertänigst um Billigung und Unterstützung ihrer Aktion gebeten, gingen die Studierenden nun selbstbewusst auf die Hitler-Jugend, die Bündische Jugend, die SA und den Stahlhelm zu, um zusammen mit den studentischen Verbänden – viele Studenten waren allerdings schon länger Mitglied in den SA-Verbänden – „Stoßtrupps“ für „öffentliche Straßen-Sammelaktionen undeutscher Literatur“ zu bilden.
Für das Sammeln der Bücher vom 26. April bis zum 10. Mai sollten, so zumindest sah es der Plan im 2. Rundschreiben der Deutschen Studentenschaft vor, in den Hochschulstädten regionale studentische „Kampfausschüsse wider den undeutschen Geist“ unter der Führung des jeweiligen „Studentenschaftsvorsitzenden“ gebildet werden. Aus der im Schreiben vorgeschlagenen Zusammensetzung der „Kampfausschüsse“ lässt sich schließen, dass die faschistischen Studenten keinen Zweifel über die Urheberschaft und die Hauptverantwortung der Aktion aufkommen lassen wollten: vier Studenten, ein Professor, ein Mitglied des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ sowie „ein Schriftsteller“, wie es im Schreiben hieß, sollten den Kampfausschüssen jeweils angehören.
Die überregionale ›Frankfurter Zeitung‹, von den legal erscheinenden Zeitungen eine der wenigen, die noch 1934 mitunter kritischere Artikel brachten, veröffentlichte (wie auch andere Zeitungen) am 3. Mai 1933 folgende Meldung des Kreises 10 der Deutschen Studentenschaft:
„Kreis 10 der Deutschen Studentenschaft teilt mit: Unter der Parole ›Wider den undeutschen Geist‹ veranstaltet die Deutsche Studentenschaft Unternehmungen, die einen möglichst großen Teil des in öffentlichen und privaten Büchereien vorhandenen undeutschen Schrifttums erfassen sollen. Der Kreis 10 (Brandenburg) der deutschen Studentenschaft fordert die gesamte deutsch denkende Bevölkerung Groß-Berlins auf, sie in diesem Kampf durch tätige Mitwirkung zu unterstützen. Sie bittet die Bevölkerung:
1. Samstag, den 6. Mai, und Montag, den 8. Mai, werden Lastwagen und Personenwagen gebraucht zur Sammlung des erfaßten Schrifttums. Wagenbesitzer, die bereit sind, ihre Kraftwagen an diesem Tage zur Verfügung zu stellen, mögen ihre Anschriften und Wagenangaben sofort fernmündlich melden unter D 1 Norden 04 83.
2. Alle Deutschdenkenden durchsuchen ihre privaten Büchereien, sortieren daraus alles undeutsche, marxistische und jüdische Schrifttum und senden es als Drucksache an den Kreis 10 im Deutschen Studentenausschuß, Oranienburger Straße 10, unter der Anschrift: ›Wider den undeutschen Geist‹.
Weitere Möglichkeiten zur Ablieferung allen undeutschen Schrifttums werden noch bekannt gegeben. Nach dem 10. Mai darf es keine deutsche Hausbücherei, keine Studentenbibliothek mehr geben, in der sich ein undeutsches Buch befindet.“
Wie viele der zweiten „Bitte“ gefolgt sind, ihre Bücher an den Kreis 10 im Deutschen Studentenausschuss in die Oranienburger Straße nach Berlin zu schicken, ist kaum zu ermitteln. Der wesentlich größere Teil der Bücher dürfte vor Ort eingesammelt worden sein, und hier waren die Bedingungen und Reaktionen unterschiedlich. In vielen Städten beteiligten sich örtlich gegründete „Kampfstellen gegen Schmutz und Schund“ an den „Straßen-Sammelaktionen“, die vor allem von den SA-Hochschulgruppen und der Hitler-Jugend durchgeführt wurden. Das Ziel der Büchersammelaktionen waren dabei nicht nur die Privathaushalte, sondern Zeitungsstände, Kioske, Buchhandlungen und die öffentlichen Leihbüchereien. In regionalen und überregionalen Zeitungen publizierten die Einzelstudentenschaften die oft veränderten, erweiterten oder gekürzten Listen zusammen mit Aufrufen, die eigenen Bücherschränke nach „undeutschen“ Schriften zu durchsuchen, die Bücher zu den dafür vorgesehenen Sammelstellen zu bringen und sich selbst an den Sammelaktionen zu beteiligen. „Auf Wunsch werden die Bücher abgeholt“, so die Studentenschaft der Universität Münster unter ihrem Aufruf „Wider den undeutschen Geist“, der am 6. Mai in der Münsterschen Zeitung erschien. Hier waren die organisierenden Studenten mit der Masse des Gesammelten offenbar nicht zufrieden. Drei Tage später veröffentlichten sie neben einem „Plan zur Kundgebung“ und Bücherverbrennung am darauffolgenden Mittwoch, den 10. Mai 1933, einen Hinweis für eine letzte Möglichkeit, Bücher abzugeben. Der Kampfausschuss lasse zwischen 10.00 und 18.00 Uhr „durch die Straßen Münsters“ einen „Wagen fahren“, so hieß es, „um noch nicht abgegebene Bücher der bereits in der Presse aufgeführten Autoren zu sammeln.“
Nach dem Organisationsplan der Deutschen Studentenschaft sollten vor Beginn der Sammelaktionen Kundgebungen durchgeführt werden, auf denen ein Redner Sinn und Zweck der Aktion erläuterte. Es waren meist die Führer der Einzelstudentenschaften, die vor Ort sprachen, so in München Karl Gengenbach (1911-1944), NSDAP-Mitglied seit 1930, 1931 der Burschenschaft „Cimbria München“ beigetreten, ein Jahr später Vorsitzender des NSDStB an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Als Kreisführer des Kreises Bayern der Deutschen Studentenschaft ab dem Februar 1933 kam Gengenbach für die Organisation der „Aktion wider den undeutschen Geist“ in Bayern eine entscheidende Rolle zu. Er sprach am 6. Mai im Lichthof des Hauptgebäudes der Universität ganz im Sinne des „völkischen“ Literaturbegriffs: „Volkskultur soll volksgebunden, rein und deutsch sein; sie kann niemals auf Asphalt wachsen, weil Asphalt den Geruch der Erde erdrückt. Heinrich Heine ist ins Feuer zu werfen und durch Eichendorff zu ersetzen.“
Zweifelsohne waren die Studenten bei den Büchersammelaktionen die treibende Kraft. Die Abgabe- und Sammelstellen waren meist studentische Büros. Von den Einzelstudentenschaften der Universitäten wurden Aufforderungen zur Beteiligung an die Jugend- und Militärorganisationen geschickt. Insbesondere zu letzteren waren die rechten Studenten seit Jahren gut vernetzt. Auch die örtliche Kriminalpolizei kooperierte mitunter beim ›Einsammeln‹ der Bücher in Buchhandlungen und Leihbüchereien. Nicht selten war das Büchersammeln der Beginn einer Praxis der Überwachung und Denunziation, die nicht erst staatlich genehmigt werden musste. Die Bonner Studentenschaft hatte den Einfall, „einen Kontrolldienst in Unternehmen, wie Restaurants und Cafés mit Tanzmusik“ einzurichten, „der darauf abzielt, dem neuen Geist nicht-entsprechende Musik zu beanstanden“. Sie habe, so wusste der Bonner Studentenführer zu berichten, „bereits in grösseren Unternehmungen Bonns Schritte in dieser Hinsicht unternommen“ und wurde hierin, wie auch in anderen Städten, von der örtlichen Kriminalpolizei unterstützt.
Vielfach belegt sind Fälle, in denen sich die Studenten mit PKWs, Lastwägen oder -karren durch die Städte bewegten und auch ohne Aufforderung in Privathaushalte, Schulbibliotheken, Leihbüchereien und Buchhandlungen eindrangen, um die Herausgabe der „auszusondernden“ Literatur zu fordern. In der Regel wurden ein oder mehrere Orte in der Stadt festgelegt, an denen Bücher abgeliefert werden konnten. In eher seltenen Ausnahmen wurden auch Bände aus den wissenschaftlichen Bibliotheken der Universitäten entnommen, so etwa aus den Beständen der TH Braunschweig und der Freiburger Universitätsbibliothek. Anfang Juni ordnete der preußische Kultusminister Bernhard Rust ausdrücklich an, die wissenschaftlichen Bibliotheken von der Säuberung auszunehmen. Die Werke der indizierten Autorinnen und Autoren seien zu sekretieren, also in einem nicht ohne weiteres zugänglichen Raum aufzubewahren.
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